Offener Brief zur Berichterstattung über die High-Deck-Siedlung im November 2018

Mit Befremden und großer Besorgnis haben wir die Pressemitteilungen der letzten Wochen über die High-Deck-Siedlung verfolgt. Da ist die Rede von „Arabisierung“ und mangelndem Interesse und Engagement der Eltern für ihre Kinder.

Unsere 2017 eröffnete Stadtteil-Kita High-Deck ist auch ein Teil der Siedlung, die Mehrheit unserer Kinder kommt von hier. Viele unserer arabischstämmigen Eltern sind in Deutschland geboren und sprechen sehr gut Deutsch. Einige wenige sind auch erst seit wenigen Jahren in Deutschland. Nur ein geringer Anteil unserer Kinder versteht überhaupt arabisch. Die Wertschätzung aller Menschen und somit aller Kulturen ist uns ein wichtiges Anliegen. In der Kita feiern wir das Zuckerfest genauso wie Weihnachten.

Unsere Eltern sind engagiert und sehr am Bildungserfolg ihrer Kinder interessiert. Gegenseitiger Respekt und gegenseitiges Vertrauen sind für uns wichtige Grundlagen einer Erziehungspartnerschaft. Wie bei den Kindern, sehen wir auch bei den Eltern viele Ressourcen, die wir aktivieren können. Wenn Eltern Selbstwirksamkeit ermöglicht wird, sind sie offen und engagiert und beteiligen sich aktiv.

Dass es auch Probleme gibt, wollen wir nicht leugnen. Wenn aber über mangelnde Integration gesprochen wird, so hat dies zwei Seiten: die der Familien und die der Politik. Der rechtliche Status vieler Familien war in den 80er und 90er Jahren jahrzehntelang ungeklärt, viele hatten über lange Zeiträume keine Arbeitserlaubnis. Für die Kinder der palästinensischen und kurdischen Kriegsflüchtlinge aus dem Libanon gab es keine Schulpflicht. Die damit vermittelte Botschaft hieß nicht „Herzlich Willkommen – wir unterstützen euch beim Ankommen in dieser Gesellschaft“. Für die Familien war es unter den gegebenen Bedingungen nur schwer möglich sich hier zu integrieren.

Bis heute fehlen in der Siedlung hunderte Kitaplätze. Es ist richtig, dass viele Familien in zu kleinen Wohnungen leben. Die Kinder werden häufig unzureichend gefördert, sie sind dem Medienkonsum der Erwachsenen ausgesetzt und haben kaum Platz zum Spielen oder für die Hausaufgaben. So werden ihnen die wichtigsten frühen Grundlagen für einen erfolgreiche Bildungslaufbahn vorenthalten.

Um Strukturen und Haltungen zu ändern braucht es Zutrauen und ein gemeinsames Arbeiten an der Bildungsbiographie der Kinder. Wenn wir das erreichen wollen, brauchen wir das Vertrauen der Familien.

Wir sind fest davon überzeugt, dass die Entwicklung der Kinder nur gemeinsam mit den Eltern gelingen kann. Nach unserer Erfahrung wollen alle Eltern das Beste für ihr Kind.
Die gerade stattfindende Stigmatisierung der Familien in der High-Deck-Siedlung empfinden wir als diskriminierend. Diskriminierung grenzt aus und unterstützt Misstrauen, gegenseitige Abwertung und führt zu Widerstand, Frustration und Abgrenzung.

Die Berichterstattung im konkreten Fall erschwert es den Eltern, Vertrauen in die Schule und damit in deutsche Institutionen zu entwickeln. Uns als Kita erschwert es, einen gelungenen Übergang in die Grundschule zu gestalten und so zukünftige Bildungs- und damit Integrationserfolge zu unterstützen.

Nicht selten hilft ein Perspektivwechsel, um gegenseitiges Verständnis zu entwickeln und auf innovative Lösungen zu kommen. Wir bleiben weiter offen, wertschätzend und mit ehrlichem Interesse für unsere High-Deck-Familien mit ihren großen und kleinen Problemen.

 

Katrin Junge-Herberg
Kitaleitung

Susanne Cokgüngör
Geschäftsführung